Begriffe und ihre Definitionen
Alpenschneehuhn. Foto: M. Koch
Die in diesem Werk verwendeten Fachbegriffe sollen möglichst beschreibend, so wenig wie möglich funktionell sein. Wenn man die Funktion einer Lautäußerung wissenschaftlich überprüfen will, muss man umfangreiche und langwierige experimentelle Forschungsarbeit leisten. Die Lautäußerungen der Vögel sollen aber benannt werden, bevor sie in dieser Hinsicht untersucht sind. Deswegen bezeichnen wir die spezifischen Lautäußerungen einer Vogelart möglichst nach ihren akustischen Eigenschaften (z.B. Zischen) oder nach den Situationen, in denen sie auftreten (z.B. Flugruf), nicht jedoch nach den Funktionen (z.B. Lockruf), auch nicht nach der möglichen Motivation (der Begriff Angstruf steht als kurze Formel für Ruf in Bedrängnis oder bei Schmerz). Feindbezogene Rufe beschreiben wir in den Texten mit der Störungssituation, in den Sonagrammen wird dafür der Kurzbegriff Alarm verwendet. Die Definitionen der allgemeinen Begriffe wie Element und Strophe orientieren sich an der Struktur.
Die Begriffe sollen darüber hinaus allgemein sein. Wir verwenden den Begriff Gesang immer dann, wenn bestimmte Kriterien (s.u.) erfüllt sind, also nicht nur bei Singvögeln, sondern auch für die Strophe des Auerhahns oder für den Fluggesang des Austernfischers. Elemente, Phrasen und Motive finden wir nicht nur im Gesang, sondern häufig auch in Rufen. Die akustischen Begriffe beziehen sich auch hier auf die Strukturebene des Sonagramms. Wie bei allen biologischen Definitionen gibt es an ihren Grenzen Übergänge. Der unten vielfach verwendete Begriff »Typ« bezeichnet nicht absolute Konstanz, sondern begrenzte Variabilität. In der Terminologie richten wir uns ansonsten so weit wie möglich nach dem allgemeinen Sprachgebrauch. Eine Reihe von häufig verwendeten Fachbegriffen soll jedoch zum Nachlesen für den Benutzer hier definiert werden.
Dialekt
Alle Formen geografischer Variation von Lautäußerungen. Darin sind zusätzlich eingeführte Begriffe wie Regiolekt eingeschlossen.
Duettgesang (Duettieren)
Streng synchronisierte Lautäußerung zweier Partner, woraus ein einheitliches, gemeinschaftliches Lautmuster entsteht, z.B. beim Zwergtaucher. Das Phänomen tritt auch bei Rufen auf, z.B. beim Kranich, daher sprechen wir hier von Duettrufen.Element
Kleinste, durch Zeitintervalle begrenzte Einheit von Lautäußerungen, im Sonagramm in der Regel durch eine zusammenhängende Schwärzung dargestellt. In bestimmten Fällen (Stellen geringer Lautstärke, starke rhythmische Frequenzmodulation) können Elemente im Sonagramm auch Unterbrechungen aufweisen, die aber eine Dauer von 10 bis 20 ms nicht überschreiten. Ein kompliziert aufgebautes Element kann subjektiv auch mehrsilbig klingen.
Flügelklatschen
Ziegenmelker, Eulen, Tauben und andere Vögel können während des Fliegens klatschenden Schall erzeugen. Sie tun das oft mit weit ausholenden Flügelschlägen. Wahrscheinlich entsteht der Schall nicht durch Aneinanderklatschen (-schlagen) der Flügel, sondern wie ein Peitschenknall durch schnelles Beschleunigen der Flügelspitze beim Wenden der Flügelbewegung. Der Begriff Flügelklatschen ist demnach falsch. Er muss durch Flügelpeitschen oder Flügelknallen ersetzt werden. Wir haben den alten Begriff in manchen Fällen als beschreibend beibehalten.
Fluggesang
Während des Fluges vorgetragener Gesang.
Flugschall
Tritt als Ersatzbegriff für das früher verwendete Wort Fluggeräusch ein, weil beim Fliegen oft nicht nur Geräusche im physikalischen Sinn, sondern auch Töne oder harmonische Spektren entstehen.
Gesang
Meist aus vielen Untereinheiten zusammengesetzte, strophige oder kontinuierliche vokale Lautäußerung mit unterschiedlichen Funktionen (Reviermarkierung, Werbung, Synchronisation zwischen Partnern, vielleicht auch als Vorbild für das Lernen durch Junge). Für Gesänge ist auch bezeichnend, dass sie spontan, das heißt ohne spezifische auslösende Situation, und länger fortlaufend vorgetragen werden können. Gesänge gibt es keineswegs nur bei Singvögeln. Während wir bei vielen Reiherarten keine Gesänge erkennen können, sind sie für Dommeln ganz typisch. Ausgesprochene Gesänge in diesem Sinn findet man u.a. auch bei Hühnervögeln, Sturmvögeln, Rallen, Tauchern, Limikolen, Tauben, Kuckucken, Ziegenmelkern und dem Wiedehopf.
Hierarchie in der Zeitstruktur des Vogelgesangs: a Jahreszeiten: Die meisten Vögel singen im Frühjahr und Sommer, einige noch einmal im Herbst. b Tageszeiten: Die meisten Vögel sind frühmorgens und gegen Abend zu hören. c Gesangsausschnitt mit Strophen (braun) und Pausen, d Gesangsstrophe eines Buchfinken mit Untereinheiten im Sonagramm (El. = Element, Sl. = Silbe).
Herbstgesang
Vollgesang im Spätsommer und Herbst, außerhalb der Brutzeit. Typisch für den Hausrotschwanz und den Zilpzalp. Er könnte dazu dienen, schon weit vor Beginn der nächsten Brutsaison ein Revier zu markieren.
Instrumentallaute
Lautäußerungen, die nicht mit der Stimme, sondern mit einem anderen Organ (z.B. Flügeln, Schnabel) erzeugt werden, teils unter Zuhilfenahme nicht körpereigener Objekte, wie beim Trommeln der Spechte.
Jugendgesang
Leiser, kontinuierlicher Gesang der Jungvögel, besteht meist aus undifferenzierten, geräuschhaften Elementen, kann auch vielgestaltig sein.
Kontergesang
Gleichzeitiger strophiger Gesang von Reviernachbarn, deren Strophen gegenseitig in fester zeitlicher Beziehung zueinander stehen. Es gibt auch Kontertrommeln bei Spechten. Vgl. Duettgesang
Motiv
Zusammenhängende Folge von mehreren typverschiedenen Elementen, Silben oder Phrasen.
Phrase
Meist rhythmische Folge von typgleichen Elementen oder Silben (beim Kanarengirlitz und seinen Verwandten wird hierfür auch der Begriff »Tour« verwendet). Das Phänomen tritt bei Gesang wie bei Rufen auf.
Ruf
Aus einem oder mehreren Elementen bestehende vokale Lautäußerung, die in bestimmten, meist spezifischen Situationen ausgelöst wird und meist nicht an das Geschlecht und an die Fortpflanzungsphase gebunden ist. Jede Art verfügt über ein Repertoire an artspezifischen Rufen.
Rufgesang
Bei vielen Vogelarten gibt es kurze rufartige Lautäußerungen, die über längere Zeit wiederholt werden und mehrere verschiedene Typen enthalten, so wie bei den Gesängen.
Schauflug
Visuell auffällige Art des Fliegens mit ausholenden, langsamen Flügelschlägen oder sonstigen Besonderheiten.
Silbe
Zusammenhängende Folge von wenigen typverschiedenen Elementen, oft mit dem Gehör als eine Einheit wahrgenommen. Auf Sonagramm-Ebene ist keine scharfe Abgrenzung gegen Motiv möglich (im Adjektiv »einsilbig«, »mehrsilbig« ist der Begriff oft auch gleichbedeutend mit Element, weil die Zusammensetzung mit »-elementig« nicht üblich ist).
Singflug
Schauflug mit Gesang.
Stimmfühlung, Kontaktruf
Diese Begriffe werden in der Literatur häufig dann verwendet, wenn man die Funktion einer Lautäußerung nicht kennt. Sie sind deshalb inhaltsleer, weil man jeder Lautäußerung grundsätzlich eine kommunikative Funktion (Kontakt) unterstellen kann. Sie werden in diesem Werk möglichst vermieden. Außer den allgemeinen Begriffen gibt es spezifische, meist lautmalerische Begriffe zur Benennung von Lautäußerungen bestimmter Vogelarten. Für die Bodenfeind-Alarmrufe des Rotkehlchens verwendet man das Wort »Schnickern«, für die der Amsel »Ducken«. Wir haben versucht, diese Begriffe zu verwenden und möchten sie auch weiterhin sammeln.
Strophe
Zusammenhängende Folge von Elementen, Silben, Phrasen oder Motiven, die durch eine längere Pause von der nächsten abgesetzt ist.
Strophentyp
Strophenvariante, die in ihrem ganzen Verlauf oder an ihrem Beginn oder Ende aus einer typkonstanten Elementfolge besteht. Viele Singvögel verfügen über mehrere verschiedene Strophentypen im Gesang. Ähnliches gibt es bei Ruffolgen ("Rufgesang").
Subsong
Leiser, meist kontinuierlicher, variabler Gesang im Übergang zwischen Jugend- und Vollgesang oder zwischen den jährlichen, täglichen oder momentanen Phasen des Vollgesangs. Besteht aus differenzierten, hoch variablen Elementen und ist oft mit Fremdimitationen angereichert.
Vollgesang
Lauter, voll differenzierter Gesang, vorwiegend an die Fortpflanzungsphase gebunden.
Moorschneehühner. Foto: M. Koch